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058 – Psychologe Markus Brand: Deshalb schießen Franchisenehmer plötzlich quer!

058 – Psychologe Markus Brand: Deshalb schießen Franchisenehmer plötzlich quer!

Wahrscheinlich kennt ihr das: 

Die ersten Jahre performed ein Franchisenehmer und plötzlich verändert sich etwas. Er wird “aufmüpfig” und hat individuelle Wünsche bzw. Anforderungen an seine unternehmerische Tätigkeit. 

Was ist passiert? Was hat sich verändert? Das hat doch vorher alles so gut in der Zusammenarbeit geklappt!

Möglicherweise hat sich der Franchisenehmer weiterentwickelt, er ist “reifer” geworden und seine Wertewelt hat sich verändert. Das ist ganz natürlich und folgt einer festen Abfolge. Bei den einzelnen Menschen und Unternehmen allerdings in unterschiedlichem Tempo.

Der Psychologe Markus Brand vom Institut für Persönlichkeit in Köln hat mir im Interview erklärt, was dahinter steckt.

(Audio 18:20 min)

Inwiefern spielen Werte in Franchisesystemen eine größere Rolle?

Schon die Art der Fragestellung gefällt dem Psychologen Markus Brand, denn offensichtlich sind manche Menschen noch nicht intuitiv davon überzeugt, dass Werte in Unternehmen und Franchisesystemen überhaupt eine Rolle spielen. Dabei leuchtet es ein, dass Werte, Kultur und “Wie wir miteinander arbeiten” von extrem großer Bedeutung im alltäglichen Miteinander ist.

Ey, Franchisenehmer, was ist denn eigentlich plötzlich bei Dir los?

So ungefähr könnte eure Ansprache beginnen, wenn ein Franchisenehmer plötzlich aus der Reihe tanzt und nach Jahren einer erfolgreichen Zusammenarbeit alles anders machen möchte.

Es kommt zu Reibungen und die sind erklärbar mit den 9 Levels of Value Systems, einer schematischen Treppendarstellung mit verschiedenen Werte-Ebenen, die man im Laufe seines Lebens in jeweils individuellem Tempo durchläuft.

Oft startet der Franchisenehmer mit einem hohen Pflichtbewusstsein und einer Freude Vorgaben zu bekommen, die man einhalten kann. So freut sich auch der Franchisegeber über einen fleißigen und pflichtbewussten Franchisepartner.

Irgendwann merkt der Franchisenehmer, dass er vieles gelernt hat und es folgt typischerweise eine Phase, wo Egozentrismus eine größere Rolle spielt. Man fragt sich, ob man die Arbeit für die Systemzentrale macht und wo der eigene Erfolg ist und hat individuelle Ideen zur Weiterentwicklung. Zum Beispiel eine Veränderung der Öffnungszeiten. Was dem Franchisegeber im Sinne der Standardisierung innerhalb des Systems natürlich nicht gefällt.

Warum sich Beziehungen zwischen Menschen und Systemen verändern

Wer Kinder hat, kennt es. Die Beziehungen mit 5jährigen Kindern ist anders als zu 10jährigen oder 15jährigen Kindern. Es kommt zu Phänomenen wie Pubertät und während sie früher zu Papas vorgeschlagenem Urlaubsort mitgefahren sind, finden sie plötzlich alle Vorschläge doof und haben eigene Ideen.

Nicht das Kind hat sich verändert, sondern die Werte.

Die Sichtweise auf die Welt. Die Sichtweise auf das, was ihrer Meinung nach richtig ist. Wir nennen das Werte, man könnte aber auch sagen “Was fühlt sich für mich richtig an und was hat sich für mich bewährt?”

Dinge, die sich für Einen bewähren ändern sich, weil sich die persönlichen Sichtweisen ändern.

Die 9 Levels of Value Systems

  • Purpur: Die Grundebene ist die Stammeszugehörigkeit. Patriarchische Strukturen. Der Chef hat Recht. (Beim Kind: Familienzugehörigkeit)
  • Rot: Hier geht es um Durchsetzungsfähigkeit, Mut und Tapferkeit. Impulsivität, Aggression, den anderen verdrängen Wollen. (Beim Kind: Pubertät)
  • Blau: Stabilisieren. Pflichtbewusstsein. Suche nach klaren Regeln. Verlässlichkeit. Präzision.
  • Orange: Herausforderungen suchen. Egozentrismus. Selbstbewusstsein. Erfolg haben wollen. Prestige und Status. Wertvoll um Karriere zu machen.
  • Grün: Dialog und Kooperation stehen im Mittelpunkt. Win-Win – auch mein Gegenüber muss erfolgreich sein und nicht nur ich, denn sonst komme ich nicht ans Ziel. Freude haben wollen.
  • Gelb: Multiperspektivität – ich habe Verständnis für den Anderen. Vernetzung. Nicht der Beste sein, sondern die Besten reinholen (Bsp. Wikipedia).
  • Türkis: Ein paar Menschen kommen bis auf diese Ebene. Absichtsarmut, Demut, Akzeptanz dessen was da ist. “Ich bin nur ein Tropfen im großen Ozean der Menschheit”. Spiritualität.

Diese Stufen durchläuft ein Franchisenehmer stärker in den ersten Jahren als ein Franchisegeber.

Lassen sich die Stufen bewerten?

Das Kind das Fahrrad fährt würde einem krabbelnden Kind sagen “Du kannst ja gar nichts”. Wohingegen das krabbelnde Kind das Fahrradfahren als zu gefährlich einordnen würde und sich gar nicht danach sehnen würde. Krabbeln ist für das Kind genau das Richtige und damit fühlt es sich wohl.

Die Menschen fühlen sich also in ihrem Reifegrad genau richtig, weil sie sagen dass es sich für sie bewährt hat. Es entspricht genau ihren Kompetenzen und ihren Sichtweisen. Die Sichtweisen des Anderen “da drüben”, des weiter Entwickelten, finden sie genau falsch.  Eine Weiterentwicklung ist für sie nicht attraktiv, weil sie mit ihren Möglichkeiten ja zurecht kommen.

Nur wer sich weiter entwickelt und dann zurückblickt, der führt eine Bewertung ein: Meine heutige Sichtweise ist viel passender als die von früher. Das Gefühl “Richtig oder Falsch” kommt also erst ab einem gewissen Reifegrad.

Menschen die einen bestimmten Reifegrad erreicht haben sind demzufolge wahrscheinlich keine Franchisenehmer.

Wie stellen Franchisegeber fest, auf welcher Ebene sie mit ihrem Unternehmen liegen?

Das 9-Levels Modell bietet sehr konkrete Hilfestellung.

  • Ist-Analyse: Auf welchem Wertelevel bin ich unterwegs? Es gibt einen Fragebogen den man für sich selbst beantworten kann, um sich einzuordnen.
  • Soll-Analyse: Wer sollte denn mein Partner sein? Auch das lässt sich damit schnell ermitteln.
  • Partner-Analyse: Man bittet die Menschen, dass sie ebenfalls einen Fragebogen ausfüllen. So kann man schauen, wo ist das Matching sehr gut? Das hilft bei der Anbahnung einer Zusammenarbeit.

Der Ist-Zustand bleibt nicht für immer gleich!

Wenn wir vor ein paar Jahren eine Zusammenarbeit mit jemandem begonnen haben, sollte uns bewusst sein, dass sich die Zusammenarbeit verändert. Sie ändert sich allerdings nicht überraschend, sondern nach einem vorgegebenen Entwicklungsplan. Und diesen kann man nutzen, weil man vorhersehend agieren kann.

Was kann der Franchisegeber für Franchisenehmer tun, die sich in ihren Werten weiterentwickeln?

Das Wichtigste ist, sich bewusst zu sein, dass sich Zusammenarbeiten verändern! So ist man nicht überrascht, sondern darauf vorbereitet.

Dann sollte man jedem Franchisenehmer die Möglichkeit geben, sich seiner Entwicklung bewusst zu werden. Dabei sind Persönlichkeitsentwicklung und Organisationsentwicklung zwei wichtige Themen. Aus dem Klein-Klein heraus auf die Metaebene, zum Beispiel mit Hilfe solcher Metamodelle wie das 9Levels-Modell.

Weiterhin sollte man für sich entscheiden, ob man sich für Individualität öffnen möchte. Wenn ja, dann kann man entscheiden was das heißt und wie es gelebt werden kann. Wenn nein, dann ist es eine legitime unternehmerische Entscheidung, nicht mit der individuellen Entwicklung weiterzugehen und zu akzeptieren, dass jemand nach ein paar Jahren nicht mehr passt. So ist es dann auch in Ordnung, sich voneinander zu trennen.

Ein reiferer Schritt als “Win-Win” ist “Win-Win or No-Deal”.

Mit der Möglichkeit mich zu trennen ist Win-Win erst einmal viel interessanter, weil ich mir Mühe gebe. Aber ich muss nicht unbedingt. So entstehen weniger Kompromisse, denn die sind eigentlich “loose-loose”: Jeder bekommt weniger als er ursprünglich wollte.

No-Deal ermöglicht einen neuen Handlungsspielraum zu sagen “Danke für die Zusammenarbeit. Wir haben uns weiterentwickelt. Lass uns trennen, du bist woanders glücklicher und ich bin mit jemand anderem glücklicher.

Weitere Optionen sind der Einbezug von weiterentwickelten Franchisenehmern in die Systemzentrale. Zum Beispiel durch Beiratstätigkeit oder Mentorenprogramme.

 

SHOWNOTES

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Schickt mir gerne eure Gedanken zu diesem Thema an steffen@franchiseuniversum.de

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