Ratgeber & Podcast

für Franchisezentralen

Erlkönige im Vertriebsbereich und andere Trends

Veronika Bellone: Guten
Morgen, liebe Chat-Teilnehmer/innen. Ich freue mich auf einen anregenden
Austausch mit Ihnen an diesem wundervollen Frühlingstag.

Leser: Liebe Frau Prof. Bellone, was ist unter
„Erlkönige im Vertriebsbereich“ zu verstehen?

Veronika Bellone: Guten Morgen,
lieber Chat-Teilnehmer. Neben Goethes “Erlkönig” kennt man Erlkönige ja vor
allem als Prototypen aus der Autobranche. Hier werden Markenhinweise des
Prototyps bei den ersten Testfahrten (Elchtests) möglichst verdeckt gehalten, um
Rätsel aufzugeben, wer bzw. welche Marke dahinter steckt. Die Vorstellung des
neuen Modells, wird dann in der Regel auch gebührend zelebriert. Beim
Franchising ist das ähnlich, nur dass häufig Schätze im Verborgenen schlummern,
die noch nicht “gehoben” wurden. Eine manchmal allzu rasche Pilotphase (der
franchisebezogene Elchtest!) lässt manche guten Ideen unter den Tisch fallen,
weil man glaubt, Schnelligkeit ist alles.

Leser: Guten Morgen Frau Professor: Wie kann
man „Erlkönige“ in einer frühen Phase ausfindig machen?

Veronika Bellone: In dem man sein
Geschäftskonzept gut auf die Möglichkeiten und Besonderheiten überprüft. Es ist
nicht unbedingt ein USP (Unique Selling Proposition) – ein einzigartiger
Wettbewerbsvorteil im Produkt oder der Dienstleistung – aber vielleicht kann man
das ganze Erleben um das Produkt oder die Dienstleistung zu einem einzigartigen
Erlebnis machen. Das sind die Erlkönige. Das Wichtige ist, eine Position am
Markt zu finden, mit der man sich bei den Kunden/Kundinnen wirklich profilieren
kann. Ich habe gestern ein Interview mit einem Optiker in Luzern geführt. In
Luzern gibt es an die 30 Optiker! Götti + Niederer, so heisst der Optiker, gibt
es seit über 15 Jahren. Einer der Inhaber hat im vergangenen Jahr den Swiss
Economic Award bekommen für seine ausserordentlichen Leistungen als
“erfolgreicher Repräsentant der Schweiz” bekommen. Sven Götti zeichnet sich
dadurch aus, dass er sein Geschäft immer wieder auf die einzigartige Position im
höherpreisigen Segment prüft, auf das Markenerlebnis. Das hat auch mit
Erlkönig-Mentalität zu tun

Leser: Woher weiß ich, ob sich ein
Pilotbetrieb für die Vervielfältigung (Serienproduktion)wirklich eignet?

Veronika Bellone: Ein
Pilotgeschäft soll dem dienen, dass man erfährt, ob das Geschäftskonzept auch
ohne den Gründer/die Gründerin, die in der Regel mit vollem Herzblut dabei sind,
auch von anderen Personen geführt werden kann. In die Überprüfung fallen dann
natürlich betriebswirtschaftliche Daten, ob das Geschäft eine tragfähige
Existenz darstellt und betreffend einer kalkulierten Gebührenordnung für
Franchisegeber/in und Partner/innen interessant sein kann. Wie stark fallen
saisonale Schwankungen aus? Die Sortimentsgestaltung wird überprüft, ob die
gleichen Produkte/Leistungen in dieser Region nachgefragt werden, wie die
Ansprache der Kundenschaft an diesem Standort sein muss, der
Belieferungsrhythmus und die Kommunikation mit den Partnern und vieles mehr.
Eines wird allerdings oft im “Eifer des Gefechts” vergessen: Stimmt die
Botschaft, die man mit seinem Leistungsangebot übermitteln will, in diesem
Pilotladen. Kommt der Spirit ‘rüber?

Leser: Guten Morgen, Frau Professor Bellone:
Ein wesentlicher Unterschied zu verdeckten Testfahrten scheint mir zu sein, dass
ein Pilotbetrieb seine Geschäftstätigkeit in aller Öffentlichkeit aufnehmen
muss. Wie kann der künftige Franchisegeber in Zeiten des Internet sein
Geschäftskonzept gegenüber wachsamen Mitbewerbern geheim halten?

Veronika Bellone: Geheimhaltung
ist in meinen Augen – heute vermehrt – eine schwierige Angelegenheit und die
Frage ist auch: Was nützt die Idee einem anderen Mitbewerber? In erster Linie
gilt es einen eigenen Standpunkt zu formulieren. Welchen Nutzen will ich meinen
Kunden und Kundinnen bieten? Und wie will ich diesen übertragen. Zum Beispiel
kann ich Fast Good (gesunde Schnellkost) als Take away-Konzept sehr “klinisch”
anbieten und die Gesundheitsaspekte aufzeigen, die ganze Gestaltung des
Geschäftes so vornehmen, dass ich mich eher sportlich und gesunde fühle, wenn
ich dort etwas konsumiere. Ich kann Fast Good aber auch so formulieren, dass ich
vor allem die Regionalität herausstreiche und Porträts derjenigen zeige, die
mein Geschäft beliefern. Hier würde ich eher dadurch auffallen, dass ich Frische
transportiere und die Unterstützung der Region. Wenn ein Mitbewerber das ein
oder andere meiner Corporate Identity kopiert stellt sich immer die Frage, ist
das für ihn überhaupt sinnvoll – weil er einen ganz anderen Aufhänger hat. Ist
es vielleicht nur eine Verquickung ganz vieler Kopien, die ein anderer aufnimmt,
dann wird es sicher heute immer schwieriger, damit zu bestehen, weil man keine
eigene Identität hat.

Leser: Erwarten Sie in der näheren Zukunft
auch attraktive Franchise-Konzepte im High-Tech-Bereich? Oder ist Franchising
als Vertriebskonzept eher bei Fritten und Burgern erfolgreich?

Veronika Bellone: Der Grossteil
der Franchisekonzepte befindet sich “ausserhalb der Fast-Food-Branche” – oder
Fritten und Burger, wie Sie sagen. Auf jeden Fall wird sich Franchising vor
allem in der Dienstleistungsbranche noch viel stärker etablieren. Ebenso werden
Kleinstfranchisen einen noch stärkeren Boom erleben als jetzt schon, d.h.
lebensnahe Konzepte, die man in benachteiligten Ländern erfolgreich installieren
kann. In der High-Tech-Branche – da wird es vielleicht eher Lizenzkonzepte geben
zur Übertragung von Herstellungsverfahren o.ä. Evtl. kann es hier für den
Franchisebereich Einschränkungen geben, weil es zu stark von Spezialisten
abhängig wäre und das Potenzial an Franchisepartner/innen nicht genügend gross
ist.

Leser: Die Wirtschaftskrise fordert auch von
Franchise-Gebern Anpassungen und neue Lösungen. Haben Sie diesbezügliche
Empfehlungen?

Veronika Bellone: Inputs für neue
Lösungen hat man oftmals im eigenen System – nur macht man sie sich häufig nicht
zunutze, weil auch keine entsprechenden Kommunikationsplattformen dafür
vorhanden sind. Zum Beispiel eine Ideenbörse, an der man Partner/innen und
Mitarbeitende teilnehmen lässt. In jedem Fall empfehle ich seitens des
Franchisegebers/der -geberin eine Situationsanalyse. Wo steht man mit seinem
System? Welche Vision hatte man einmal am Anfang und wie weit ist man davon
entfernt? Wie sieht mein Markt aus? Was hat sich dort verändert? Welche Trends
haben sich denn wie auf die eigene Branche ausgewirkt. Und welche Schwächen und
Stärken habe ich im eigenen System? Ein Brainstorming mit Partner/Parnerinnen
und mit Mitarbeitenden der Zentrale zu bestimmten Fragen des Leistungsangebotes
ist äusserst hilfreich. Die Fragen sollten darauf abzielen, was man selbst gerne
in einer bestimmten Verkaufssituation erleben würde. Was passieren müsste, um
sich wohlzufühlen. Ein derartiges Brainstorming ist wichtig, weil dann auch viel
transparenter und verständlicher wird, was es heisst, einen guten Kundendienst
anzubieten. Natürlich sollte man dann auch die Kunden/Kundinnen befragen, damit
man nicht “orakelt” was diesen wohl von Nutzen wäre. Eine Fremdbeurteilung kann
ebenfalls sehr hilfreich sein, weil man selbst bzw. Angehörige des Systems nicht
mehr die Distanz hat zum eigenen Tun.

Leser: Gibt es besondere Techniken für die
Vorhersage und Nutzung von Trends im Franchise?

Veronika Bellone: Die Technik,
die alle Trendforscher benutzen ist Beobachtung. Das klingt so simpel. Die Kunst
liegt allerdings in der strukturierten Beobachtung zu definierten Punkten. Zur
“Vorhersage” gehört auch immer eine Rückschau, da sich das Leben in Zyklen
bewegt. Konsum- und Produkttrends leiten sich in der Regel aus den Meta- und
Megatrends ab. So ist es wichtig, die Einflüsse am Markt betreffend Technologie,
Politik, Umwelt etc. zu beobachten. Zu welchen gibt es Analogien in der
Geschichte und zu welchen Auswirkungen hat das geführt. Wenn sich auch die Zeit
der Industrialisierung nicht direkt mit den zunehmenden
Automatisierungsprozessen heute vergleichen lässt – so kann man doch
untersuchen, wie die Gesellschaft darauf reagiert hat, wie Ängste kompensiert
wurden, welche Werte entstanden etc..

Leser: Welche zusätzlichen Fähigkeiten und
Erfahrungen muss der Franchisegeber der Zukunft mitbringen und auf welchen
Gebieten sollte er sich kontinuierlich fortbilden?

Veronika Bellone: Sicherlich
darin, ein Franchisesystem als “lebenden Organismus” zu betrachten, den es in
regelmässigen Abständen zu kontrollieren gilt. Wie ein Check-up beim Arzt,
sollte auch ein System bezüglich der Aktualität, der Akzeptanz bei
Partnern/Partnerinnen und der Kundschaft und des internen Klimas überprüft
werden. Ein Franchisesystem bietet so viele Möglichkeiten, sich marktnah zu
halten, weil man mit verschiedensten, engagierten Partnern zusammenarbeitet, die
die aktuellsten Marktinformationen haben. Deswegen halte ich das offene
Kommunikationsverhalten der Franchisegeber/innen für eine der ganz wichtigen
Aufgaben der Zukunft. Eine strukturierte Branchenbeobachtung ist ebenso wichtig
– vor allem mit entsprechender Gewichtung und Relevanzmessung für das eigene
System.

Leser: Ich habe von einer englischen Studie
gehört, nach der die Betriebsaufgaben im Franchising mit der Höhe der
Investitionsanforderungen deutlich abnimmt. Sind teure Franchise-Systeme
sicherer?

Veronika Bellone: Das kann man
sicher nicht so allgemein sagen. Die Gebührenkalkulation inklusive erster und
laufender Investition ist ein wichtiger Baustein für ein erfolgreiches
Franchisekonzept. Der Franchisegeber/die-geberin finanziert die zentralen
Leistungen über die Gebühren der Partner/innen – zusätzlich werden meist noch
Filialen unterhalten. Jeder Systemgeber muss den Break Even für sein System
ausrechnen, um eine Idee zu haben, wieviele Partner/innen er integrieren muss,
um seine Leistungen finanzieren zu können und darüberhinaus Gewinn zu machen.
Sind die Gebühren sehr hoch, handelt es sich häufig um ein sehr
beratungsintensives Geschäftskonzept (z.B. eine Unternehmensberatung auf
Franchisebasis), das zu den gängigen Unterstützungsleistungen in der Zentrale
auch noch einen stark individualisierten Support leistet. Die Sicherheit von
Systemen würde ich nicht nur vom Preis-/Leistungsverhältnis abhängig machen,
sondern von der Glaubwürdigkeit des ganzen Konzeptes – wie nachhaltig ist das
Ganze und wie ausgeklügelt.

Leser: Ich habe gehört, dass ein bekannter
Anbieter von Frauen-Fitness-Studios gerade seine Franchise-Aktivitäten
einstellt. Sehen Sie auch die Gefahr, dass zu viele Unternehmen auf den selben
Trend aufspringen, der sich dann – trotz systemspezifischer USPs – als zu
schwachbrüstig oder zu kurzatmig für mehrere Unternehmen erweist?

Veronika Bellone: Manche Trends
üben einen unwiderstehlichen Reiz aus. Der Gesundheitsmarkt allgemein und
Wellness wie Fitness sind feste Trendgrössen und ein Tummelplatz für
“Trendhopper”. Der Trend ist immer das eine, aber es gilt dabei den Markt und
die Zielkunden im Auge zu behalten. Wieviel können realistischerweise in der
Region angesprochen werden und ist das Angebot überzeugend für diese. Reicht das
auch aus für eine attraktive Existenzgrundlage. Diese Daten müssen zu den
anderen – wie bereits im Rahmen des Pilotbetriebs beantwortet – hinzugezogen
werden.

Leser: Obgleich ich einen relativ sicheren Job
bei einem großen Energieversorger habe, möchte ich mich in absehbarer Zeit
selbstständig machen. Aber wäre es nicht verrückt, diesen Schritt inmitten einer
schweren Wirtschaftskrise zu untenehmen?

Veronika Bellone: Meine
Lebenseinstellung ist da eine andere. Was ist überhaupt sicher im Leben –
ausser, dass man irgendwann wieder aus demselben scheidet. Ich halte es nicht
für verrückt, sich in Zeiten einer Krise selbstständig zu machen. Sich jetzt zu
beweisen, stählt für die Zukunft. Und es gibt immer Angebote, die gerade dann
neu entstehen, weil sie eine Lücke schliessen oder ein anderes Produkt ablösen.
Die Frage muss man sich selbst stellen, welche Verpflichtungen habe ich und mit
welchen Veränderungen muss ich rechnen, wenn ich mich beruflich selbstständig
mache. Habe ich die Disziplin und das Durchhaltevermögen, die Motivation und den
Spass, mein Leben auf diese Weise umzukrempeln. Aus eigener Erfahrung kann ich
nur sagen, dass ich mich vor 18 Jahren in der Schweiz selbstständig gemacht habe
– als Deutsche (!) und als Frau (!) mit einer Dienstleistung Franchiseberatung,
die bis dato noch recht unbekannt war. Einen Kredit von der Bank bekam ich
damals nicht – zu unbedeutend war mein Geschäftsmodell, über einen Bekannten
habe ich ein Darlehen bekommen. Mein Netzwerk hier in der Schweiz war minim,
meine Ambition jedoch gross. Der Anfang war hart, weil ich keinesfalls von
meiner Spezialisierung abweichen wollte. Heute möchte ich nicht einen Tag
missen! Diesen Geist versuche ich nun heute auch meinen Studierenden
weiterzugeben und auch das macht Spass.

Leser: In den USA bin ich auf einige
interessante Franchise-Angebote zur Förderung der kindlichen Kreativität und
intellektuellen Fähigkeiten gestoßen. Kann sich dies auch im kinderarmen
Deutschland zu einem neuen Trend entwickeln?

Veronika Bellone: Ja, es gibt da
ganz fantastische Angebote, die allerdings auch in einem anderen kulturellen
Rahmen stattfinden. Nicht nur, dass Deutschland “kinderärmer” ist, man geht auch
ein wenig anders mit Kreativität und mit spielerischem Lernen im Kleinkindalter
um. Meist hat man den grössten Erfolg, realisiert man solch ein Konzept in einer
Region mit einer guten multikulturellen Durchmischung – vor allem mit Familien
aus den USA, Japan und Grossbritannien. In diesen Ländern ist es viel
gebräuchlicher, dass man sich der Kleinkindförderung annimmt.

Leser: Gibt es „rezessionsgeschützte“
Franchisesysteme?

Veronika Bellone: Wie schon in
einigen Antworten erwähnt, denke ich, dass es nicht “das sichere” System gibt,
weil es nichts Statisches im Markt gibt. Alle Franchisesysteme,
Geschäftskonzepte überhaupt müssen sich flexibel Neuerungen am Markt anpassen.
Gewinner werden die sein, die den Kunden einen relevanten Nutzen bieten, d.h.
nicht nur Versorgung mit Essen und Trinken, sondern genauso Entspannung, soziale
Kontakte, Spass und Bewegung etc. und dabei flexibel agieren.

Leser: Sehen Sie in der Seniorenbetreuung und
der ambulanten Krankenpflege einen Trend, der für die nächsten Jahrzehnte gute
Geschäfte verspricht?

Veronika Bellone: Der
demografische Wandel als Megatrend verheisst, dass in Kürze die Bevölkerung in
Europa mehrheitlich über 50 Jahre alt ist. Sicher eröffnet sich dann auch in
Zukunft ein grosser Markt mit älteren Personen. Ausserdem ist das
Gesundheitswesen im Wandel begriffen und Leistungen müssen zunehmend selbst
bezahlt werden. Diese Einflüsse sprechen für derartige Konzepte in der Senioren-
und Krankenpflege. Die Senioren von morgen werden aber anders sein. Sie sind in
einer anderen Zeit gross geworden und wollen auch anders wahrgenommen werden.
Also gilt es bei solchen Franchisekonzepten zu schauen, inwieweit man sich
dessen bewusst ist und wieviel in die Aktualisierung des Konzeptes gesteckt
wird.

Leser: Sind gemischte Franchise-/Filialsysteme
erfolgreicher als reine Franchise-Systeme? Der Erfolg der „Mischlinge“ in
Systemgastronomie und Einzelhandel könnte dafür sprechen.

Veronika Bellone: Mischsysteme
sind meist erfolgreicher, weil sie davon profitieren, dass man einerseits in
Filialen neue Dinge ausprobieren kann und andererseits verschiedene Sichtweisen
kennen lernt – aus Angestellten- und Partnersicht. Ausserdem macht die Zentrale
Erfahrungen aus eigener Quelle und kann entsprechendes Benchmarking durchführen.
Permakulturen sind auch in der Landwirtschaft widerstandsfähiger als
Monokulturen.

Veronika Bellone: Liebe
Chat-Teilnehmer/innen – vielen Dank für Ihre Fragen. Ich wünsche Ihnen ein
schönes Frühlingswochenende. Herzlichst Ihre Veronika
Bellone

Prof. Veronika Bellone
Prof. Veronika Bellone
Bellone FRANCHISE CONSULTING GmbH

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