Ratgeber & Podcast

für Franchisezentralen

Retailfranchising und Multi-Channel-Strategie

Veronika Bellone: Schönen
guten Morgen, liebe Chat-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer. Heute möchte ich mit
Ihnen über Handelsfranchisen und deren strategische Herausforderungen
diskutieren und natürlich über Ihre spezifischen Anliegen zum Franchising. Ich
freue mich auf Ihre Fragen. Ihre Veronika Bellone

Leser: Guten Morgen Frau Professor Bellone!
Worauf ist bei der Entwicklung einer Multi-Channel-Strategie im
Retailfranchising besonders zu achten?

Veronika Bellone: Guten Morgen,
lieber Chat-Teilnehmer. Zu den wichtigen Themen gehört es, das Einkaufs- und
Informationsverhalten der Zielkunden zu kennen. Wo informieren sich die Kunden
und Kundinnen, wenn sie auf Ihr Leistungsangebot kommen sollen. Welche digitalen
Plattformen nutzen diese und welchen Nutzen erwarten sie über die Informationen,
die dort geboten werden. Das gibt Ihnen Hinweise, in welcher Form und wo Sie mit
Ihrem Angebot präsent sein müssen. Die eigene Positionierung, um einen
selbstähnlichen Auftritt auf und in verschiedenen Kanäle zu haben, gehört ebenso
zu den Grundvoraussetzungen.

Leser: Liebe Frau Prof. Bellone: Kann unsere
Systemzentrale die Umsetzung einer Multi-Channel-Strategie selbst in die Hand
nehmen oder sollten wir eine Agentur zur Unterstützung hinzuziehen?

Veronika Bellone: Es bietet sich
an, eine Agentur zu Rate zu ziehen, denn jeder Absatzkanal hat eigene Regeln.
Vor allem ist es wichtig, die Harmonisierung von Off- und Online-Absatzkanälen
zu entwickeln – auch hier ist ein Fremdblick empfehlenswert.

Leser: Welche Kombination von Online- und
Offline-Maßnahmen hat sich bei der Konsumentenansprache im Einzelhandel aus
Ihrer Sicht bewährt?

Veronika Bellone: Nicht zuletzt
aufgrund des zunehmenden Einflusses des mobilen Internets über Handys, Tablets
etc. erwarten viele Konsumenten und Konsumentinnen von ihren Händlern
Multicrosschanneling-Dienstleistungen. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit,
bei einem Händler online bestellte Produkte auf Wunsch im Laden abholen zu
können („click and collect“). Die Händler bekommen dann oftmals die Möglichkeit,
zusätzliche Serviceleistungen anzubieten, wie Konfektionierung, Abschluss von
Wartungsverträgen etc.

Leser: Verdient das Cross-Channel-Marketing
nicht den Vorzug gegenüber dem Multi-Channel-Marketing? Es erscheint mir besser,
dass die Werbebotschaften über alle Kanäle hinweg aufeinander abgestimmt werden
und die Kunden einen konsistenteren Eindruck gewinnen.

Veronika Bellone: Die Verknüpfung
verschiedener Absatzkanäle unter Berücksichtigung einer abgestimmten
Wertepositionierung stärkt die Marke und ist von daher sehr zu empfehlen.

Leser: Würden Sie als Franchise-Geberin auf
eine Marketing-Automation-Lösung für die personalisierte Aussteuerung der
Kommunikation über verschiedene Kanäle hinweg setzen?

Veronika Bellone: Automation wird
in jedem Falle weiter zunehmen – allerdings stellt sich die Frage, inwieweit
diese emotional anspricht. Die Verbreitung gleichartiger Botschaften über Social
Media als Beispiel kann zwar die kurzfristige Aufmerksamkeit fördern.
Individualisierte Botschaften, tatsächliche Bezugnahmen auf Fragen, Kritik oder
Lob von (potenziellen) Kunden und Kundinnen scheinen mir jedoch für den Aufbau
von Kundenbeziehungen sehr wichtig.

Leser: Mit den gesammelten Daten aus
bisherigen Einkäufen, geöffneten E-Mails, angeklickten Links und verwendeten
Endgeräten unserer Kunden verfügen wir bereits über wertvolle Informationen.
Reichen sie für die Entwicklung personalisierter Multi-Channel-Kampagnen aus
oder sollten wir externe Daten hinzukaufen?

Veronika Bellone: Informationen
aus erster Hand sind hervorragend. Dennoch würde ich einen Abgleich mit
Sekundärdaten vornehmen. Ich würde immer Vergleiche mit anderen Branchen
vornehmen. Der Blick “über den Zaun” kann neue Impulse bringen für Kanäle, die
man bislang nicht berücksichtigt hat.

Leser: Wir fragen uns, inwieweit für uns eine
stärkere konzeptionelle Abgrenzung vom Wettbewerb erforderlich ist und in
welchen Punkten Anpassungsbedarf besteht. Wie sollten wir vorgehen?

Veronika Bellone: Nun weiss ich
leider gar nicht, in welcher Branche Sie tätig sind. In jedem Fall ist bei der
konzeptionellen Abgrenzung vom Wettbewerb immer der Kundennutzen zu
berücksichtigen. Wettbewerbsvorteile müssen immer gemessen werden um
herauszufinden, inwieweit Ihre Kunden und Kundinnen einen Mehrnutzen bei Ihrem
Angebot haben als vergleichsweise bei der Konkurrenz. Bieten Sie mehr
Convenience, mehr Sicherheit, mehr Anerkennung…? Natürlich kann es sein, dass
Sie eine Me-too-Strategie fahren und bewusst den Vergleich zur Konkurrenz
suchen. Vielleicht bieten Sie die preisliche Alternative. Aber auch das muss für
den Kunden von Wert sein.

Leser: Wie kann sich ein Franchisesystem im
Textil-Einzelhandel langfristig erfolgreich positionieren? Welche strategische
Stoßrichtung ist besonders erfolgversprechend?

Veronika Bellone: Das
Heraustreten aus der Vergleichbarkeitsfalle gehört meines Erachtens zu den
wichtigen Erfolgsfaktoren. Einerseits wird es weiterhin Markenkonzepte geben,
deren Angebote digital verglichen werden und der Anbieter mit dem attraktivsten
Preis bekommt den Zuschlag. Andererseits wird es zunehmend Anbieter geben, die
aus dem Dilemma des Preisvergleichs mit Hilfe zusätzlicher Dienstleistungen
herauskommen. Sei es mit Stilberatung, zusätzlicher Mass-Schneiderei,
Heimberatung und -Lieferung, Modenschau etc. Ich sehe die Zukunft vor allem in
Hybridkonzepten. Verknüpfung von On- und Offline-Vertrieb und neben dem reinen
Produktvertrieb jeweils angemessenen Dienstleistungen. Im Online-Shop kann die
neue Kollektion mit dem Hochladen eines eigenen Fotos probiert werden.
Zusätzliche Styling-Tipps mit Foto-Session können im Geschäft angeboten werden.
Die Dienstleistungen können dabei von anderen Anbietern (Fotografen, Stylisten
etc.) wahrgenommen werden. Das Bilden solcher Wertegemeinschaften spielt bei
diesen Hybridkonzepten eine grosse Rolle.

Leser: Welche Maßnahmen würden Sie der
Systemzentrale empfehlen, um einen effizienten und effektiven Einsatz des
gemeinsamen Werbefonds zu gewährleisten?

Veronika Bellone: Es gilt die
bisherige Marktdurchdringung Ihres Systems zu beachten, um den Streuverlust der
Massnahmen gering zu halten. Dann zählt auch hier wieder: Wie ist das
Informationsverhalten Ihrer Zielkunden? Mit welchen Medien können Sie Ihre
Kunden und Kundinnen am besten erreichen? Wie lässt sich Ihr Angebot vorteilhaft
darstellen? Braucht es dafür eine Demonstration über Bilder oder Filme? Ist die
textliche Botschaft eingängig? Was braucht es, um den Nutzen Ihres Angebotes
wirksam darzustellen? Je mehr Sie über das Nutzungsverhalten wissen, desto
zielgenauer können Sie die Massnahmen entwickeln.

Leser: Da gebe ich Ihnen Recht, die Automation
hat sicher (noch?) Grenzen. Welche Funktionen kann eine kanalübergreifende
Marketing-Automation-Lösung im Handel derzeit sinnvoll abdecken? Mit welchem
finanziellen und personellen Aufwand ist dabei zu rechnen?

Veronika Bellone: Das Sammeln und
Aufbereiten von Daten mittels einer automatisierten Lösung übernimmt Funktionen
der Kundenpflege, Weiterentwicklung des Angebotes wie auch der optimierten
Planung der Produktion und Kommunikationsmassnahmen. Wenn Sie so wollen, kann
der gesamte Marketing-Mix in den einzelnen Funktionsbereichen von Big Data
profitieren, wenn die Aufbereitung und Auswertung entsprechend wahrgenommen
wird. Der Aufwand dafür hängt von der Dimension des Geschäftszweiges ab.

Leser: Welche personellen und technischen
Voraussetzungen muss eine Franchise-Zentrale erfüllen, um die persönlichen Daten
aus sozialen Netzwerken für ein passgenaues Targeting einzusetzen?

Veronika Bellone: Social Media
Intelligence, also das Auswerten und Sammeln von Daten in den Sozialen Medien,
können Sie je nach Zielrichtung (Konkurrenzanalyse, Trend- und Marktanalyse,
Customer-Relationship-Management etc.) über verschiedene Softwaretools
vornehmen. Sie können sich auch beim Deutschen Franchise Verband eine Broschüre
zu “Social Media Guidelines” bestellen – www.franchiseverband.com

Leser: Ist es überhaupt längerfristig
erfolgversprechend, auf Targeting und soziale Medien zu setzen oder kollidiert
dies zunehmend mit den Bestrebungen in Europa zum besseren Schutz der
Privatsphäre?

Veronika Bellone: Die Entwicklung
lässt sich nicht aufhalten. Solange wir bereit sind, unsere Daten und Bilder
sehr freigiebig selbst herauszugeben; Fotos, um unser Alter schätzen zu lassen
oder unseren Gemütszustand, füttern den digitalen Äther mit dermassen vielen
Daten, dass ich eine Bestrebung zum Schutz der Privatsphäre nicht wirklich als
Bremse betrachte.

Leser: Wie lassen sich Spielräume und
Handlungsnotwendigkeiten im lokalen Wettbewerbsumfeld ermitteln? Sind dafür vor
Ort Analysen der individuellen Marktgegebenheiten erforderlich?

Veronika Bellone: Ich habe es
häufig so gehalten, dass ich bei der Ausarbeitung des Franchise-Handbuches und
Schulung von Franchise-Partnern und -Partnerinnen die individuelle Marktanalyse
durch letztere vornehmen lasse. Als Systemzentrale definieren Sie, für welche
Markenwerte Ihr Angebot steht und wie Sie sich von Mitbewerbern abheben.
Generell beschreiben Sie auch, welche Vorteile Sie gegenüber anderen Ketten und
Einzelanbietern haben. Diese Kriterien können Sie in einem Analyseblatt
aufbereiten (auch gemeinsam mit den Partnern), die dann das lokale Umfeld
sondieren. Damit binden Sie die Partner/innen aktiv ein.

Leser: Würden Sie mir zustimmen, dass weiche
Imagefaktoren wie Kundenfreundlichkeit, Einkaufsatmosphäre und sympathische
Ausstrahlung für Konsumenten immer mehr an Bedeutung gewinnen?

Veronika Bellone: Zu jedem Trend
gibt es einen Gegentrend. Je anonymer und automatisierter die Welt wird, desto
eher verlangt es uns auch wieder nach echter Zuwendung. Und wenn sich die
Zuwendung auch im Einkaufserlebnis vor Ort zeigt und dabei unsere fünf Sinne
angesprochen werden, dann kann ich als Anbieter Vorteile gegenüber der
durchgetakteten Automation generieren.

Leser: Für uns stellt sich angesichts der
zunehmenden Werbeintensität die Frage, welche Werbemittel unsere Zielgruppe noch
wahrnimmt und auf welche Medien wir künftig setzen sollten. Haben Sie dazu einen
praktischen Hinweis?

Veronika Bellone: Einerseits
würde ich mir einen Vergleich von Werbemedien anschauen mit gleichzeitiger
Erfolgsquote (z.B. Statista.com, publisuisse.ch oder von anderen grossen
Medienagenturen). Andererseits würde ich mir Benchmarks suchen. Welche
Unternehmen (möglichst nicht nur in Ihrer Branche, aber mit ähnlicher
Zielgruppe) beeindrucken Sie und was setzen diese Marken ein, um sich bekannt zu
machen? Schauen Sie sich auch aussergewöhnliche Kommunikationsmassnahmen an, die
Sie mit Ihren Franchise-Partnern gut durchsetzen können. Ist es vielleicht mal
eine Pop-up-Aktion oder eine anderweitige Guerilla-Marketing-Massnahme? Um
Werbeideen auch für kleinere Budgets zu bekommen, sollten Sie in das Buch von
Levinson schauen: “Guerilla-Marketing”.

Leser: Ist es für Gewerbetreibende noch
sinnvoll, Anzeigen in Printmedien zu schalten oder sollten wir uns angesichts
des hohen Streuverlustes unser Werbebudget auf mobile Werbung konzentrieren?
Mich fasziniert die Technologie, die in der Nähe befindliche Passanten per Handy
auf unser Sortiment aufmerksam zu machen. Wir haben damit leider noch keine
Erfahrung gesammelt, welche Anbieter würden Sie in Betracht ziehen?

Veronika Bellone: Je nach
Werbebudget und Angebot kann eine Kombination von Anzeige und digitaler
Kommunikation sehr sinnvoll sein, weil der Brand mehrfach wahrgenommen wird. Und
da unsere Kaufentscheidungen zu über 90% implizit, d.h. unbewusst ablaufen,
können solche Mehrfachbelegungen die Marke stärker einprägen. Apps können solche
Navigationen zu nahegelegenen Angeboten vornehmen. Ich empfehle Ihnen, im
App-Store zu sondieren, welche Apps solche Möglichkeiten bieten, um mögliche
Integrationen oder Entwickler ausfindig zu machen.

Leser: Welche Alternativen bestehen zu Big
Data und Targeting, wenn wir uns zwecks Versendung relevanter Informationen an
den Interessen und Präferenzen unserer Zielgruppe orientieren wollen?

Veronika Bellone: Über
Befragungen von (pot.) Kunden und Roundtables lassen sich – zwar aufwändig –
aber sehr gut Primärdaten ermitteln. Empfehlenswert ist, ein Projekt zu
definieren, das an einer Hochschule ausgeschrieben wird. Im Rahmen solcher
Arbeiten können Sie sehr gut Direktbefragungen über die Studierenden einbauen.
Ich erlebe das immer für beide Seiten als sehr bereichernde Art der
Informationsgewinnung.

Leser: Welcher Kommunikationsmix und welche
Argumente eignen sich speziell für die Überzeugung von Neukunden?

Veronika Bellone: Das ist
branchenabhängig. Ebenso wichtig, wie die Argumentation zur Neukundengewinnung
ist, wie ich im Nachhinein die Versprechen auch einhalten kann. Es ist nicht die
Vielzahl an Argumenten, sondern die Ernsthaftigkeit, die potenzielle Kunden zu
“Wiederholungstätern” macht.

Leser: Was halten Sie von der PLZ-spezifischen
Versendung von Coupons, um den Bekanntheitsgrad unserer Ladengeschäfte zu
erhöhen und Neukunden auf uns aufmerksam zu machen?

Veronika Bellone: Sofern die
Coupons nicht zwingend mit Rabatten verbunden sind, sondern eine zusätzliche
Aktion oder einen speziellen Service in dieser ausgewählten Region anbieten,
können sie die Aufmerksamkeit erhöhen und zur Differenzierung von anderen
Anbietern beitragen.

Leser: Welchen weiteren Faktoren würden Sie
einen besonders positiven Einfluss auf die Kundenbindung im Handel
beimessen?

Veronika Bellone: Positiv ist zu
werten, wenn Sie sich um nachhaltige Massnahmen bemühen. Das können
Fairtrade-Produkte sein. So gaben z.B. die Verbraucher/innen in Deutschland nach
Angaben von Fairtrade 2014 insgesamt 827 Millionen Euro für Fairtrade-Waren aus.
Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Plus von 26 Prozent. Bio-Produkte
oder Waren aus der Region; Recyclingkonzepte etc. – Massnahmen, die
Verbraucher/innen entlasten. Und damit meine ich nicht vordergründig eine
physische sondern vor allem eine mentale Entlastung. Wenn sich der Handel um
nachhaltiges Wirken bemüht, dann können sich die Kunden und Kundinnen damit
profilieren bzw. absichern, dass auch sie indirekt Verantwortung übernehmen.

Veronika Bellone: Liebe
Chat-Teilnehmer/innen, eine kurzfristige Unterbrechung der Internetverbindung
hat wiederum die grosse Abhängigkeit gezeigt – aber dann auch wieder die
Möglichkeiten, Ihre vielfältigen Fragen zu beantworten. Ich wünsche Ihnen
weiterhin viel Erfolg und ein schönes Wochenende. Herzlichst Ihre Veronika
Bellone

Prof. Veronika Bellone
Prof. Veronika Bellone
Bellone FRANCHISE CONSULTING GmbH

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